Schreibregeln sind wichtig. Und das nicht, um sie auf Teufel komm raus einzuhalten. Man sollte sie kennen, um sie bewusst anzuwenden oder gegebenenfalls mit ihnen zu brechen. Aber selbst, wenn wir das alles beherrschen, legen die Leser und Leserinnen das Buch gähnend zur Seite (und werden es nie wieder hinter – oder aus – dem Ofen hervorholen), wenn die Charaktere unstimmig sind. Denn dann wirken sie langweilig. Und Langeweile bricht jedem Roman das Genick.
Was sind typische Charakterfehler bei Romanfiguren?
Hier kommen meine 7 favourites:
🥱 Sie bedient (zu viele) Klischees
Die Struktur eines Romans ist in den jeweiligen Genres zwar immer nahezu gleich, aber die Bedienung von Klischees (die es auch auf Plot- und Handlungsebene gibt) sollte man unbedingt vermeiden. Man hat sie schon allzu oft gelesen. Das wirkt abgedroschen und langweilig wie Wiener Würstchen zum Kindergeburtstag. Hässliches Entlein entwickelt sich zum schönen Schwan, die dralle Blondine tut alles, um ihrem Chef zu gefallen. Oma spielt mit ihrem Oma-Klübchen jeden Mittwoch Kanaster, Opa stiert seibernd den jungen Dingern hinterher, aufopferungsvolle Mutti verzichtet auf Karriere (oder andersherum: Karrierevati vernachlässigt Familie).
Auch wenn wir im wahren Leben oft das ein oder andere Klischee bedienen – Romanfiguren (und damit den Autoren) nehmen wir das übel – zumindest dann, wenn sie es über den ganzen Roman hinweg tun und keine Entwicklung erkennen lassen. Also: Lass die Omma die Karten über ihre Schulter werfen und zukünftig Rumba tanzen. Mache deine Romanfigur einzigartig und damit zu etwas ganz Besonderem!
🥱 Sie hat kein starkes Ziel
Eine Romanfigur ohne Ziel ist wie Pommes ohne Salz. Und eine Romanfigur ohne ein starkes Ziel ist wie Pommes ohne Salz und Ketchup – kann man machen, ist aber langweilig. Sie braucht also etwas, was sie unbedingt erreichen will. Und darüber hinaus braucht sie ein starkes Warum. Will sie die Weltherrschaft erlangen? Wenn ja: warum? Weil sie dann von Onkel Erich ein Eis spendiert bekommt oder seine Finca in Spanien erbt? – Dieses Warum wäre schwach. Wenn sie die Weltherrschaft erreichen will, um ihre Familie vor dem sonst sicheren Tod zu bewahren, sieht die Sache schon sehr viel besser aus.
Will Gina sich den Typen angeln, weil er einfach so ein Schnuckelchen ist und sie schon immer schnuckelige Kinderchen haben wollte? Schwache Wahl. Viel stärker ist ihr Warum, wenn Schnuckel ihr ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit gibt, das sie Zeit ihres Lebens nie hatte – weshalb sie sich schnell verschließt, sobald ihr jemand emotional näherkommt … Und schon haben wir gleichzeitig einen starken Antagonisten aus der Taufe gehoben. Innere Konflikte können mächtige Gegner sein.
🥱 Sie ist passiv
Wenn einer Romanfigur alles in den Schoß fällt und sie sich nicht anzustrengen braucht, um ihre Ziele zu erreichen (seien es die kleinen oder die großen), wirkt sie weder authentisch noch überzeugend. Leser wollen sich in einer Figur wiederfinden, sich mit ihr identifizieren können. Und wer hat im Leben schon ständig Glück und braucht sich für nichts anzustrengen? Das wirkt unglaubwürdig und wird auf Dauer echt langweilig. Zudem treibt das weder die Handlung voran noch die Entwicklung der Figur – womit wir beim nächsten Punkt wären.
🥱 Sie entwickelt sich nicht weiter
Wenn eine Romanfigur am Ende des Romans, sogar am Ende jeder Szene, genau so denkt, fühlt und handelt wie am Anfang, dann erleben wir keine Entwicklung, sondern Stillstand. Und Stillstand ist der Tod jeder Geschichte. Eine Romanfigur muss weiterkommen und sich verändern, um den Antagonisten niederzustrecken und ihr Ziel zu erreichen. Im besten Fall treibt die Entwicklung der Romanfigur die Handlung voran, und nicht andersherum.
🥱 Sie handelt nicht an ihrer Kapazitätsgrenze
Verhält sich eine Figur nicht passiv, sondern handelt aktiv, haben wir schon mal eine wichtige Zutat in der Pommesschüssel. Aber du darfst es ihr auf keinen Fall zu einfach machen. Leg ihr Steine in den Weg, nicht nur die kleinen süßen, sondern richtig fette Brocken. Sie muss wirklich ALLES geben, was ihr zur Verfügung steht, um den Protagonisten (der bestenfalls stärker ist als sie) in die Schüssel zu hauen. Nur dann fiebern wir beim Lesen mit ihr mit und freuen uns mit ihr über jeden noch so kleinen (aber hart erkämpften) Erfolg.
🥱 Mangelnde Kongruenz
Handelt, denkt oder fühlt die Romanfigur in der einen Szene so, und in der nächsten komplett anders, funktioniert das nur, wenn man diesen Wandel auch nachvollziehen kann. Es muss dazwischen also eine Erkenntnis oder ein Ereignis stattgefunden haben, das erklärt – oder nein: durch das sich von selbst erklärt –, warum die Figur nun so ganz anders drauf ist.
Mangelnde Kongruenz zeigt sich auch, wenn Handeln, Fühlen, Denken und Sprechen nicht mit der Soziologie übereinstimmen. Dazu mehr im nächsten Punkt.
🥱 Sie unterscheidet sich nicht von anderen
Sei es im Denken, Fühlen, Handeln oder im Sprechen, der Mimik oder der Art, sich zu bewegen: Romanfiguren müssen sich in vielen Bereichen deutlich voneinander unterscheiden lassen, sonst haben wir am Ende statt Pommes mit Salz und Ketchup einen faden Einheitsbrei, bei dem man nicht mehr weiß, wer gerade am Zug ist. Zudem wirken Figuren authentischer, wenn sie gemäß ihrer Soziologie handeln. Eine Figur aus dem Arbeitermilieu spricht und denkt zum Beispiel anders als ein Akademikerkind, eine Romanfigur, die überall in der Welt zu Hause ist, anders, als die Figur, die Zeit ihres Lebens nicht über die Dorfgrenzen hinaus gekommen ist. Auch regionale Unterschiede sollten berücksichtigt werden: Haben wir es mit einem wortkargen Nordlicht zu tun oder einem temperamentvollen Südländer? (Aber auch hier gilt: Vorsicht vor Klischees!)
Ich weiß, du liebst die Charaktere, die du erschaffen hast. Und gerade deshalb solltest du es ihnen so schwer wie nur irgend möglich machen. Damit auch deine Leserinnen und Leser sich in sie verlieben und ihnen nicht mehr von der Seite weichen wollen.
Fallen dir weitere Charakterfehler von Romanfiguren ein? Lass uns an deinem Wissen teilhaben!
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